Die Typologien von
Ernst Troeltsch: Kirche, Sekte, Mystik
1.
Troeltschs Definition über die Religionssoziologie
Troeltsch definiert Die Religion nicht nur
ideologisch, als Dogma, Lehre und Metaphysik,
sondern er beachtet ihren engen Zusammenhang mit dem
sozialen Leben, das zum großen Teil von dem
wirtschaftlichen Leben bedingt ist. Er betrachtet
die Religion als praktischer Gesamtmacht des Lebens.
(1)
Das wirtschaftliche Leben, Klassenbildung und
Gesellschaftsschichtung beeinflussen die Religionen.
Auch ungekehrt beeinflussen die religiöse Elemente
die wirtschaftliche Arbeit. Die Religionen sind
keine Wirtschaftsideale. Die Wirtschaftsformen und
–Interessen sind auch keine religiöse Gesetze. Das
religiöse Element verbindet sich mit den
wirtschaftlichen Interessen, fällt es niemals aber
mit ihnen zusammen. Die große soziologische Formen
des Daseins werden einerseits von der Religion
geschaffen, andererseits sind sie aus
wirtschaftlichen Gründen entstehen. (2)
Troeltsch ist der Meinung, dass die wirkliche Lösung
der religiösen Innerlichkeit und Sondergemeinschaft
von sozialen und wirtschaftlichen Dingen nur im
Christentum stattgefunden hat. Christentum zugleich
mit dem Judentum hält sich an der Güte der Schöpfung
und der Bedeutung der Welt als Arbeitsplatz fest.
(3)
Das wirkliche Leben der Religion zeigt vielmehr die
Erregbarkeit und Reizbarkeit des religiösen Gefühls,
eine Verwachsung dieses Gefühls mit den unbegrenzbar
mannigfaltigen erregenden Objekten, die der innern
und der äußeren Welt angehören können. Der Sinn des
religiösen komplexen Lebens erschöpft sich nicht in
seinem Gewordenheit, sondern er wird aus tausend
Erregungen zusammengeflossen und wird ein
selbständiges momentanes und lebendiges Ganze, das
seinen eigenen sinn in sich trägt, seine
Ursprungsgeschichte vergießt oder total umdeutet und
neue Willensrichtungen hervorbringt. (4)
2.
Drei Haupttypen der christlichen
Gemeinschaftsbildung
Troeltsch definiert die Kirche, die Sekte und die
Mystik als das Hauptsystem und Formen der
soziologischen Selbstgestaltung der christlichen
Idee. In seiner Typologie stellt er seine
theologischen, soziologischen und historischen
Überlegungen dar. Er definiert die Typen nicht als
Geschichte, sondern als destillierte allgemeine
Formen aus geschichtlichen Tatsachen.
Diese drei Gruppen gehen in recht verschiedener
Richtung auseinander. Die Selbstorganisation der
christlich-religiösen Idee bewegt sich von Anfang an
in Gestalt dreier sich verschiedener Typen, die
zunächst noch ineinander übergehen und sich erst
allmählich gegeneinander verselbständigen.
2.1. Kirchentypus
Troeltsch definiert die Kirche als die wichtigste
und zentrale soziologische Selbstgestaltung der
christlichen Idee.
„Der Typus der Kirche ist die überwiegend
konservative, relativ weltbejahende,
massenbeherrschende und darum ihrem Prinzip nach
universale d.h. alles umfassen wollende
Organisation.“ (Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.362)
Der Kirchentypus fordert die universalen Ideale, um
alles zu beherrschen und durch die großen Massen die
Welt und die Kultur zu bewältigen. Sie betrachtet
die staatliche Ordnung als eine göttliche Ordnung.
(5)
2.2. Sektentypus
Hiervon unterscheidet sich die zweite
Selbstgestaltung der christlich-soziologischen Idee
des Sektentypus.
„Die Sekten sind dem gegenüber verhältnismäßig
kleine Gruppen, erstreben eine persönlich-innerliche
Durchbildung und eine persönlich-ummittelbare
Verknüpfung der Glieder ihres Kreises“. (Troeltsch,
Die Soziallehren der christlichen Kirchen und
Gruppen, S.362)
Die Sekte wird von der persönlichen
ethisch-religiösen Leistung und vom persönlichen
religiösen Verhältnis angeordnet. Sie übt sich im
Laienchristentum aus. Sei fordert die radikale
Liebesgemeinschaft, die religiöse Gleichheit und
Brüderlichkeit, sie ist gegen das technische Recht
und den Eid. Sie kritisiert die offiziellen
Seelenführer und Theologen. Sie beruft sich auf das
neue Testament und die Urkirche. (6)
2.3. Mystiktypus
Nach Troeltsch ist es schwer die Mystik gegen die
Sekte richtig abzugrenzen, weil sie wie die Sekte
vorreformatorische Gedanken und Richtung an
fortsetzt. Betrachtet man die soziologischen
Konsequenzen, wird der Unterschied deutlicher.
„Die Mystik dringt auf die Unmittelbarkeit,
Gegenwärtigkeit und Innerlichkeit des religiösen
Erlebnisses, auf einen Ueberlieferungen, Kulte und
Institutionen überspringenden oder ergänzenden
unmittelbaren Verkehr mit dem Göttlichen.“
(Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.172)
Troeltsch vermittelt sowohl die mystische
Innerlichkeit und den Individualismus, als auch die
christliche Tradition und die kirchliche
Institution.
3.
Vorgeschichte der Begriffe „Kirche“, „Sekte“ und
„Mystik“
Der Ausgangspunkt von Troeltsch über die soziale
Gestaltung der Religion ist die Differenzierung
zwischen Kirche und Religion. Die Kirche wird als
die Schale bezeichnet, die die Religion schützt.
Einerseits wird die Kirche als eine notwendige
Organisation dargestellt, andererseits wird sie als
eine Bedrohung für die religiöse Kraft und die
Freiheit der persönlichen Frömmigkeit gesehen.
(7)
Im
Hochmittelalter erhebt sich die Sekte neben der
kirchlichen Einheitskultur und Sichtart gegen die
Relativierung und die Kompromisse des Sittengesetzes
Jesu mit der Weltordnung. Die Kirche macht sich den
Staat und die herrschenden Schichten dienstbar und
gliedert sich ein. Sie wird zu einem Bestandteil der
allgemeinen Ordnung. Solange die Kirche noch nicht
Volks- und Staatskirche war, unterscheidet sich die
Sekte nicht deutlich vom Kirchentypus. Troeltsch
bezeichnet die starke Strömung der Sekte als
strengen Radikalismus der Ethik des Evangeliums, der
ganz auf Selbstheiligung und Bruderliebe beruht. Bei
der Kirche gab es keinen Raum für solche radikalen
Gedanken, deswegen bildete sich die Sekte neben der
Kirche gegen die relativierende und umfassende
kirchliche Ethik und Soziallehre. Die Kirche
betrachtet alle weltliche Ordnung als Mittel und
Vorstufe auf den überweltlichen Lebenszweck. Dagegen
bezieht sich die Sekte auf den überweltlichen
Lebenszweck. (8)
Das Wort „Sekten“ ist irreführend, weil es
ursprünglich polemisch und apologetisch vom
Standpunkt der herrschenden Kirchen gemeint ist, das
bezeichnet solche Gruppen, die an den Grundelementen
der christlichen Idee abweichend von der offiziellen
Kirche festhalten. (9)
Die Mystik äußert sich im urchristlichen
Enthusiasmus, in der Lehre von der göttlichen Seele
uns vom fortsetzenden Geist. Die christliche Mystik
beruft sich auf die Religiosität des Paulus. Dazu
hat sie auch die neuplatonischen Mystik aufgenommen.
Der Geist wird als ein göttliches Wesen definiert,
der durch Offenbarung und Gegenwärtigkeit Gottes,
die Seele zur substantiellen Einheit mit Gott führt.
(10)
4.
Die Wesendefinition dreier Typen
Um
die soziologischen Konsequenzen dreier Typen zu
begreifen, ist es nötig, dass zuerst ihr religiöses
Wesen analysiert wird.
4.1. Das Wesen der Kirche
Troeltsch definiert die Kirche als wichtigste und
zentrale soziologische Selbstgestaltung der
christlichen Idee.
„Das Wesen der Kirche ist das religiöse Heil als
etwas mit der göttlichen Heilsstiftung selbst
gegebenes und prinzipiell schon verwirklichtes zu
betrachten.“ (Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.169)
Das Wesen der Kirche ist der objektive
institutionalisierte Charakter, in deren Kreis man
durch die Kindertaufe tritt. Das anstaltlichte
Prinzip machte die Kirche zu der großen Erzieherin
der Völker, die ihr Ziel durch Anpassung und
Konnivenz erreicht. (11)
4.2. Das Wesen der Sekte
„Das Wesen der Sekte ist die bewusste und reife
heilige Gemeinde, deren Heiligkeit in der
praktisch-ethischen Leistung, nicht in der
Göttlichkeit der Institution und ihrer Gnadenschätze
liegt.“ (Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.149)
In
sie wird man nicht hineingeboren, sondern man
betritt sie auf Grund bewusster Bekehrung.(12) Die
Sekte ist für die Vereinigung von frei sich
bekennenden und mit aller Strenge sich heiligenden
Jüngern Jesu.
Die Grundprinzipien der Sekte waren die
Gemeindebildungen als Vereinigung von Jesus-
Gläubigen, die sein Gesetz halten und einen engen
Kreis von Zusammentretenden nach dem Liebesprinzip
und dem Heiligkeitsgedanken organisieren wollten.
(13)
Eine Wertvolle Persönlichkeit und die Verbindung der
Menschen in der Nächstenliebe als einer Offenbarung
sind ihr Lautgedanke.
Die Grundlagen der Sekten sind das Evangelium, die
Bergpredigt und die christliche Hoffnung auf das
Reich Gottes. (14)
4.3. Das Wesen der Mystik
Troeltsch definiert die Mystik als einen radikalen,
gemeinschaftslosen Individualismus.
Mystik bedeutet „die Entstehung einer Laienreligion
innerhalb der Kirche und hatte großen Einfluß auf
die Individualisierung der bürgerlichen Welt.“ 797
Mystik steht in Wahlverwandtschaft zu der Autonomie
der Wissenschaft und bildet das Asyl für die
Religiosität wissenschaftlich gebildeter Schichten
Sie hat am wenigsten mit dem christlichen Naturrecht
zu tun.
5.
Christusdogma
Die ganze christliche Vorstellungswelt und das Dogma
von den soziologischen Grundbedingungen hängen von
der jeweiligen Gemeinschaftsidee ab.
5.1. Christusdogma der Kirche
Die Betrachtung Jesu, seiner Person und seines
Werkes, als einer wunderbaren Heils- und
Gnadenstiftung, bedeutet für die Kirche ein
feststehendes und fertiges Kapital. (15)
Sie ist unabhängig von der persönlichen Leistung,
und bringt die Gemeinde durch die Wunderkräfte der
Sakramente hervor. (16) Sie identifiziert sich mit
dem Gottesreich. Die Kirche ist das Christusreich
und daher mit dem Gottesreich in der Welt identisch.
Für die Kirche ist das Erlösungswerk vollendet im
Sühnetod des Christus. Der Christus der Kirche ist
der Erlöser.
Das gereinigte Dogma im Protestantismus wurde durch
die Theologie zu einem Gedankensystem.
5.2. Christusdogma der Sekte
Jesus ist für die Sekte der himmlische und
wiederkommende Herr der Gemeinde.
Der Christus der Sekte erscheint vor allem als Herr,
Vorbild und Gesetzgeber von göttlicher Würde und
Autorität, der durch sein biblisches Gesetz die
Gemeinde verpflichtet.
In
der Sekte bleibt Jesus der Verkündiger und Bringer
des kommenden Gottesreiches
Sie wartet auf die eigentliche Erlösung in der
Wiederkunft Christi und der Aufrichtung des Reiches.
Sie beruft sich auf den radikalen Gegensatz des
Gottesreiches gegen die Interessen und Ordnungen der
Welt. (17)
Der Sinn des Christus und des Naturgesetzes ist
Gemeineigentum, Brüderlichkeit, Freiheit und
Gleichheit.
Sie will eine heilige Gemeinschaft, die aus dem
Zusammentreten reifer und bewusster christlicher
Persönlichkeiten hervorgeht. Der Sektengeist hält
sich an die geschichtlichen Buchstaben, die
geschichtlichen Herrenworte, die Organisation der
heiligen Gemeinde. (18)
Die Bibel- und Urgeschichte sind die bleibenden,
wörtlich zu verstehenden Ideale.
Die Gemeindeeinrichtungen nehmen nur die bewussten
Christen auf und kontrollieren die Glieder durch
Laien- und Sittenzucht. Die Laien sollten die
eigentlichen Träger der Gemeinde sein. (19)
Sie hat keine Theologie, sondern eine strenge Ethik
und einen lebendigen Mythos Ihre Theologie ist die
Laientheologie.
5.3. Christusdogma der Mystik
Christus bedeutet die Mystik die mystische Realität
und Kraft der gegenwärtigen, innerlich gefühlten
Gotteinigung und Erlösung.
Die Mystik ist der Glaube an eine unmittelbare
Gegenwart Christi in den Seelen.
Sie glaubt an den wunderwirkenden enthaltenden Geist
Christi.
Sie nimmt Christus nicht als fleischliches Geschöpf
wahr , sondern sie erfährt ihn durch den Geist.
In
der Mystik ist die Christusherrschaft die Herrschaft
des göttlichen Geistes und daher ist hier das
Gottesreich lediglich inwendig in uns.
Für die Mystik ist Christus ein Symbol für die
Einswerdung der Seele mit Gott, wofür Christus nur
Anregungsmittel und Symbol ist. (20)
Mystik schafft einen leidenschaftlichen Realismus
für den Verkehr mit den Gottheiten, der alte Kulte
oder geltende Riten zu Mitteln unmittelbarer,
substanzieller Einigung macht.
Mystik ist ein radikaler, gemeinschaftsloser
Individualismus. Der Christ steht unabhängig von
Geschichte und Kultus in unmittelbarem Verkehr mit
Christus oder mit Gott. (21)
6.
Drei unterschiedliche
Wahrheitsbegriffe und Verhältnisse
Das verwickelte und widerspruchsvolle Verhältnis des
Christentums zur Staatsgewalt und zur Toleranzidee
klärt sich von der Verschiedenheit des christlichen
Wahrheitsbegriffes in den drei verschiedenen Typen.
6.1. Wahrheitsbegriff und Verhältnis der Kirche
Kirche will Massen und Volkskirche sein. Die Kirche
hat durch die Gemeindeorganisation und den Kult, die
stärkste Fortpflanzungs-, Ausbreitungs- und
Organisationskraft. (22) Dadurch ist sie zu einer
großen Massenwirkung befähigt.
Sie verlangt die Vereinigung in dem Besitz der
Gnadenkräfte mit dem Leib Christi, die durch den
Geist das neue Leben von selbst und von innen heraus
bewirken. Die Kirche liegt ihre Christlichkeit auf
den objektiven Gnadenbesitz. Sie erhebt ihre
Göttlichkeit und Christlichkeit in ihren objektiven
Grundlagen und bleibt bei ihrem objektiven Besitz an
religiösen Wahrheiten. (23)
Die Kirche hat eine relativ weltfreundliche Moral
und betrachtet das weltliche Leben als die
gewöhnliche Basis. Die Askese der Kirche hängt
zusammen mit der Doppelheit der Moral, was den
Erlösungskulten und der kontemplativen
Entsinnlichung entspricht. (24)
6.2. Wahrheitsbegriff und Verhältnis der Sekte
Sekten und Mystik lehnen den Gedanken des Volks-,
Staats- und Massenchristentums ab und sind auf
kleine und enge Kreise beschränkt. Die Sekte will
nicht Massenkirche, sondern Bekenntnisgemeinde
heiliger Christen sein und verlangt die Freiheit vom
Staat. Sie beruht auf dem Gesetz statt der Gnade.
Die Sekte hegt den Gegensatz zur Welt, ihren
Gewalten und ihren soziale Ordnungen. Sie will nicht
die Welt, den Staat, die Gesellschaft bewältigen,
sondern sie vermeidet diese. Sie verzichtet auf die
Gewinnung der Welt. Sie hält ihre Beziehung zu den
Unterschichten und arbeitet „von unten herauf und
nicht von oben herunter.“ Sie hält sich von Recht,
Eid, Besitz, Krieg und Macht zurück, was Troeltsch
als Askese bezeichnet. (25)
6.3. Wahrheitsbegriff und Verhältnis der Mystik
Mystik reagiert gegen die Objektivierung des
religiösen Lebens in Kulten, Riten, Mythen oder
Dogmen. Sie enthält immer eine Gegensätzlichkeit
gegen die Massen, weil sie einen religiösen
Subjektivismus und Spiritualismus ausübt und sich
durch die unmittelbare persönliche und lebendige
Erregung, in charakteristischer gleichzeitiger
Verbundenheit mit dem Gefühle selbst reflektiert.
Die Lebendigkeit der religiösen Produktion äußert
sich gegenüber der objektivierten Religion oft in
mystischen Erscheinungen. Sie äußert sich als Vision
und Halluzination, die keine neuen Erkenntnisse,
sondern mehr eine Ausdeutung des gemeinsamen
Besitzes und eine Fortsetzung in den Geistesgaben
der alten Christen sind. Sie erscheint auch als
Enthusiasmus und Orgiasmus und konzentriert sich auf
das rein Innerliche und Gefühlsmäßige. (26)
Sie verinnerlicht und relativiert die Heilswahrheit
zu einem individuellen persönlichen Besitz, der
unaussprechlich hinter den buchstäblichen Formen
liegt.
Die spiritualistische Mystik lebt in der Freiheit
des Geistes und des Gewissens.
7.
Die christliche Ethik
Die christliche Ethik wurde durch die stoische Ethik
beeinflusst. Die Schöpfung der Stoa ist der Begriff
eines sittlichen Naturgesetzes, aus dem alle
rechtlichen und sozialen Regeln und Institutionen
hervorgehen. Die Kirche hat durch die Ausbildung des
Begriffes des christlichen Naturrechtes ihr
Verhältnis zu dem sozialen Leben gestaltet. Stoa und
Christentum waren in der Wurzel vielfach verwandt,
als Erzeugnisse der Verinnerlichung,
Individualisierung und auch Universalisierung. (27)
Die Stoa hat in der Tat die römische Gesetzgebung
erheblich beeinflusst. Durch die Übernahme der
Rezeption des stoischen Naturrechts hatte das
Christentum die Fähigkeit bekommen, seine
Gleichgültigkeit gegenüber dem Staat und der
Gesellschaft zu beseitigen und eine allgemeine
Staats- und Gesellschaftslehre auszubilden. (28)
7.1. Das Ethos der Kirche
Das Ideal ist in der dauernden irdischen Welt ohne
Kompromiss nicht durchführbar, deswegen ist die
Geschichte des christlichen Ethos mit der Suche nach
dem Kompromiss verbunden. Die Kirche ist durch die
ganze innere Struktur ist als Volks- und
Massenanstalt zum Kompromiss genötigt. (29)
Der Kirchengedanke ist zum Verzicht auf die strenge
christliche Vollkommenheit, zum Kompromiss mit den
tatsächlichen Ordnungen der Welt und der
Gesellschaft, befähigt. Er wird mit der
Relativierung des Naturrechtes durch die Übernahme
der stoischen Idee durchgesetzt, indem die
durchschnittliche Weltmoral wie Recht, Macht,
Gewalt, Krieg, Privateigentum und Besitzstreben
anerkannt wird. (30)
7.2. Das Ethos der Sekte
Sie versucht das reine Ideal der Bergpredigt ohne
Kompromiss durchzuführen.
Das ganze Denken der Sekte ist durch die
Gesetzlichkeit, und zwar die Bergpredigt als das
eigentümlich christliche Gesetz, bestimmt. (31)
Sie hält sich an das strenge christliche
Sittengesetz der Bergpredigt, der auf das zur Erde
kommende Reich hofft und die Reinen und Heiligen zu
dem Gottesreich und der Wiederkunft Christi sammelt.
(32)
Sie lehnt den Krieg, Macht, Gewalt und Herrschaft
ab. Sie ist der religiöse, aus dem Zusammentritt der
Individuen gebildete Verein. Ihre Heiligkeit hängt
an der aktiven und subjektiven Heiligkeit der
Personen. Ihrer Sicht nach liegt die Göttlichkeit in
der praktisch-ethischen persönlichen Leistung. Die
Sekte gründet ihre Christlichkeit auf die
persönliche Heiligkeit und Verbundenheit.
Ihre Eigentümlichkeit ist der Rigorismus, mit der
sie ohne Kompromisse die Durchsetzung der
evangelischen Ethik, vor allem der Bergpredigt,
verlangt. (33)
7.3. Das Ethos der Mystik
Paulus belebte die Urgemeinde des Christenkults
durch eine tiefsinnige und leidenschaftliche Mystik.
Die Taufe in der Deutung des Paulus wurde ein reales
Mitsterben und Mitauferstehen mit dem Christus. Das
Herrenmahl deutet bei ihm auf ein mystisches Essen
und Trinken und auch eine substanzielle Einigung.
Der Christus war für ihn eine reale Lebenssphäre
übersinnlicher Art, in der der Gläubige lebt,
empfindet, denkt und vom Geist Gottes erfüllt wird.
So wird er zu einem neuen pneumatischen Wesen. Die
Mystik empfängt das Heil auf eine innerliche Weise.
Auch der alte Kult der Gottesmahlzeit, des Opfers,
der Neugeburt aus der Gottheit wird als ein
unmittelbar mystisches Essen und Trinken der
Gottheit, zu einer wirklichen Neugeburt und
Vergöttlichung angeeignet und verinnerlicht. Die
Eucharistie, als eine Schöpfung der Mystik, benutzt
die sexuelle Erregung zur Miterregung des religiösen
Enthusiasmus oder der Enthusiasmus verstärkt sich in
sexuellen Reizungen. Sie ist eine allgemeine
Erscheinung auf allen Religionsgebieten. Ihre
Eigenschaften sind sowohl ein radikaler Dualismus
von Fleisch und Geist, von Sinnlichkeit und
Ewigkeit, auch als ein spiritualistischer
Pantheismus. (34)
Die Geschichte, die Gemeinschaft und der Kult
verinnerlicht Mystik zu einer Anregung des
religiösen Erlebnisses.
Erlösungs-, Heils und Anstaltsideen des Paulus sind
tief von solcher Mystik durchdrungen. Die
christliche Mystik wurde durch die Aufnahme der
neuplatonischen Mystik befestigt. Wenn sie den
neuplatonischen Gottesgedanken des prädikatlosen
absoluten Seins und den Untergang der Person in Gott
vertritt, entfernt sie sich vom Christlichen im dem
Maße entsprechend. Dagegen bleibt sie um so
christlicher, je mehr sie auf die Personifizierung
Gottes und des menschlichen Lebenszieles dringt.
(35)
Noshin shahrokhi, 2002
1.
Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.22-3
2.
Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.24-25
3.
Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S. 29
4.
Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S. 36-37
5.
Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen
Kirchen und Gruppen, S.368
6.
Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen
Kirchen und Gruppen, S.370
7. Vgl.
Arie L. Molendijk, Zwischen Theologie und
Soziologie, S.36
8.
Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen
Kirchen und Gruppen, S.359-362
9.
Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen
Kirchen und Gruppen, S.367
10. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.172
11. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.372
12. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.372
13. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.157
14. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.151
15. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.126
16. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.158
17. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.363
18. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.171-3
19. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.149
20. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.969
21. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.173
22. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.174
23. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.368-9
24. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.363
25. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.362-3
26. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.850
27. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.174-6
28. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.156
29. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.973
30. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.156
31. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.149
32. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.853
33. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.171
34. Vgl. Troeltsch, Die Soziallehren der
christlichen Kirchen und Gruppen, S.851-2
35. Vgl. Troeltsch, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, S.172-3
Literatur
Troeltsch – Studien 9, Arie L. Molendijk, Zwischen
Theologie und Soziologie, 1996
Troeltsch, Ernst, Geistesgeschichte und
Religionssoziologie, Tübingen 1925
Troeltsch, Ernst, Die Soziallehren der christlichen
Kirchen und Gruppen, 1961
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